Wir bieten am 01.06. um 20:15 Uhr ein Online-Seminar zwischen Stadtspaziergang und architekturhistorischem Exkurs mit dem Architekturvermittler Heiko Gerdes (Leipzig/Berlin) an:
Günstig gelegen am Kreuzungspunkt zweier wichtiger europäischer Handelsstraßen, entwickelte sich Leipzig im Mittelalter rasch zu einem bedeutenden Zentrum von Wirtschaft und Handel. Bereits im Jahr 1015 erstmals urkundlich erwähnt, erhielt die Stadt 1165 Stadtrecht und Marktprivilegien. Schon seit dieser Zeit sind die historischen Plätze, wie der Markt sowie die umgebenden Straßenzüge im Wesentlichen definiert. Die innerstädtischen Bauflächen zwischen diesem dichten Straßennetz mit seinen typischen Querverbindungen – den Passagen – haben sich jedoch über die folgenden Jahrhunderte bis heute kontinuierlich verändert und wurden auch immer wieder radikal im Stil der Zeit überformt. Damit ist die Leipziger Innenstadt baulich heute weit weniger historisch, als es zunächst erscheint.
Wir widmen uns auf unserer Tour durch die westliche Innenstadt beispielhaft Architekturen der jüngeren Baugeschichte im Kontext der Historie des Ortes:
Am Martin-Luther-Ring entstanden in den letzten Jahren gleich zwei auffällig moderne Bauten des Leipziger Architekturbüros Schulz und Schulz: das Büro- und Geschäftshaus „Trias“ und die neue katholische Hauptkirche der Stadt Leipzig „Sankt Trinitatis“. Beide reagieren mit gänzlich verschiedenen Architektursprachen auf Ihren jeweiligen stadträumlichen Kontext und historische Anleihen.
Ganz in der Nähe entstand 2016 das Geschäftshaus „Hainspitze“ (Architekten: Ortner und Ortner Baukunst). Besonders durch die baulich-handwerkliche Qualität und die Detaillierung seiner Fassade, greift dieses Haus den Maßstab der historischen Bebauungen der Innenstadt auf und nimmt Bezug auf den Typus des klassischen großstädtischen Warenhauses des frühen 20. Jahrhunderts, ohne dabei seine Entstehungszeit zu verleugnen.
Spektakulär war der Bau des Leipziger Citytunnels – einer fast hundert Jahre zurückreichenden Vision. Damit verbunden war auch die Eröffnung der vier neuen Untergrundstationen: HPP Architekten, KSW Architekten, Peter Kulka und Max Dudler hinterließen ihre modernen Spuren im Bitterfelder Sand unter der Leipziger Innenstadt. Sehr imposant erscheint dabei vor allem die weltstädtisch anmutende, mit hinterleuchteten Glasbausteinen ausgeführte Untergrund-Station am Wilhelm-Leuschner-Platz von Max Dudler.
Nordöstlich des Marktplatzes befand sich bis zum 2. Weltkrieg ein sehr dicht bebautes Areal, das 1943 zu einer riesigen innerstädtischen Kriegsbrache wurde. In den 60er Jahren erfolgte die Umwandlung des Gebietes zu einem sozialistischen Stadtplatz – dem bei den Bürgern beliebten Sachsenplatz. Gefasst wurde der Platz durch differenzierte Neubebauung in Plattenbauweise, im Jahr 2004 entstand an dieser Stelle dann das neue Museum der bildenden Künste (Architekten: Hufnagel, Pütz, Rafaelian). Es bildete damit einen wichtigen Baustein und Ausgangspunkt für die Wiederverdichtung der Innenstadt auf dem historischen Stadtgrundriss. Der schlichte Museumsbau birgt spannungsvolle Proportionen im Innern – es wurde dabei die Leipziger Idee der Durchwegungen, Passagen und Höfe aufgegriffen und neu interpretiert. Nur wenige Materialien prägen das neue Haus für die Kunst: Sichtbeton, Muschelkalk, Eichenholz und Glas.
Von jeher – nicht nur in diesen Beispielen aus der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung – prägen Bezüge, Brüche und Wiedersprüche von Altem und Neuem das spannungsvolle, heterogene innerstädtische Bild Leipzigs. Ebenso wie die sozialistische Nachkriegszeit hinterließ auch die postsozialistische Periode bereits viele prägende Bauten in der Leipziger Innenstadt. So gehört der Sachsenplatz mit seiner umgebenden Plattenbebauung durch den Neubau des Museums der bildenden Künste inzwischen wieder der Vergangenheit der Leipziger Stadtbaugeschichte an. Andere Relikte, die noch kurz vor der politischen Wende entstanden, blieben aber glücklicherweise erhalten und entwickeln mittlerweile auch anerkannte Bedeutung als wichtige Teile des bauhistorischen Erbes der Stadt.
Zu den interessanten Bebauungen gehört dabei das ehemalige Rechenzentrum am Dittrichring (1989), direkt gegenüber der Thomaskirche. Dieser schlichte, fast fensterlose Bau an prominenter Stelle, eignet sich heute perfekt zur Ausstellung von Kunstwerken. Erwähnenswert ist auch das Kolonnadenviertel westlich der Innenstadt. Hier wurde ab Mitte der 80er Jahre eine Kehrtwende der sozialistischen, innerstädtischen Wiederbebauung vollzogen: Das Viertel zeigt den gelungenen Versuch, „die Platte“ vielfältig als Bau- und Gestaltungselement im historischen Kontext einzusetzen – als Grundlage diente dabei erstmals in der DDR wieder der historische Stadtgrundriss als „Gedächtnis“ der Stadt…
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